Second-Hand-Stress: Wie Spiegelneuronen uns belasten und wie wir uns schützen können

Haben Sie sich jemals gefragt, warum Sie das Bedürfnis verspüren zu gähnen, wenn Sie in der Einkaufsschlange drei Personen vor Ihnen jemand anderen gähnen sehen? Oder haben Sie schon mal beobachtet, wie Säuglinge Mundbewegungen und Gesichtsausdrücke ihrer Bezugsperson nachahmen? Oder warum fahren Sie sich durch die Haare, wenn Ihr Gesprächspartner nur eine Sekunde davor dasselbe getan hat?

Auf den ersten Blick scheinen all diese Dinge einfache, unbewusste Reaktionen auf Gesehenes zu sein. Tatsächlich aber passiert bei solchen Vorgängen etwas Komplexes in unserem Gehirn. In der Vorderseite des Gehirns befindet sich ein Abschnitt, der als prämotorischer Kortex bezeichnet wird. In diesem Teil des Gehirns werden die Bewegungsabläufe geplant. Wenn Sie zum Beispiel eine Eistüte in der Hand halten und daran denken, Ihren Arm zu bewegen, um die Eistüte an Ihren Mund zu bringen, und es dann tun, können Sie in einem MRT sehen, wie zuerst der prämotorische Cortex und erst dann der primär-motorische Cortex aufleuchtet. Dass die Neuronen im prämotorischen Cortex feuern, ist nun nichts Überraschendes. Aber hier wird es interessant: Wenn Sie beobachten, wie jemand anderes seinen Arm hebt und die Eistüte zum Mund bewegt, feuert auch dabei eine Teilmenge derselben Neuronen. Allein das Beobachten anderer Menschen bei einer Aktion führt dazu, dass einige der gleichen Neuronen feuern, die auch feuern, wenn Sie sich tatsächlich bewegen würden. Diese Untergruppe von Neuronen wird als „Spiegelneuronen“ bezeichnet.

Spiegelneuronen ermöglichen es uns, durch Nachahmung zu lernen. Sie führen dazu, dass wir nicht nur auf unsere eigenen inneren Zustände oder Umweltreize reagieren, sondern auch auf Handlungen, Bewegungen und emotionale Zustände anderer Menschen. Wenn Sie denken, dass dies auch mit unserer Fähigkeit zusammenhängen könnte, sich in andere hineinzuversetzen (d.h. wir beobachten die emotionale Erfahrung eines anderen und verbinden uns dann mit dieser Emotion in uns selbst), liegen Sie vollkommen richtig. Wenn Sie jemanden lächeln sehen, werden Spiegelneuronen aktiviert, was Sie wiederum zum Lächeln bringt. Ihr Gehirn nimmt auch die Reaktion von jemandem auf, der auf der anderen Seite des Raums sitzt. Aber nicht nur Lächeln und Gähnen werden auf diese Weise weitergegeben.

Auch Negativität, Stress und Unsicherheit können wir auf diese Weise wahrnehmen. Unser Körper absorbiert die negativen Schwingungen um uns herum und beginnt mit der Produktion von Cortisol, dem wichtigsten Stresshormon. Unser Stressreaktionssystem ist so empfindlich, dass die Wahrnehmung des Gesichtsausdrucks einer anderen Person bereits ausreicht, um aktiviert zu werden. Das bedeutet, dass ebenso wie Passivrauchen “Second-Hand-Stress”, also der Stress einer anderen Person, schlecht für die eigene Gesundheit ist.

Eine Studie zeigt eindrucksvoll, dass alleine durch die Beobachtung eines ängstlichen oder gestressten Menschen (egal, ob er seine Angst bzw. der Stress nonverbal durch den Gesichtsausdruck oder verbal ausdrückt) diese Emotion von anderen Unbeteiligten ebenfalls erlebt wird - selbst wenn die Beobachtung über Videoübertragung stattfindet. Second-Hand-Stress, der von einem Kollegen, Freund oder Partner ausgeht, ist sogar noch viel ansteckender (40%) als von einem Fremden (23%).

Ich erlebe es selbst sehr häufig: Manches Mal spüre ich plötzlich eine Unruhe in mir, einen Stress, dessen Ursache mir aber nicht bekannt ist. In solchen Fällen frage ich meinen Mann, ob ihn gerade eine Sache beschäftigt, die ihn stresst. Und in den meisten Fällen stellt sich heraus, dass ich seinen Stress wahrnehme, nicht meinen.

Laut den Forschern ist Stress ausgelöst von einer anderen Person das Ergebnis unserer Fähigkeit, potenzielle Bedrohungen in unserer Umgebung wahrzunehmen. Die Signale, die diese Art von Stress verursachen, können sehr subtile Veränderungen bei den Menschen um uns herum bei der Arbeit sein – sie haben allerdings enorme Auswirkungen für uns.

Es geht aber noch weiter: Sie müssen jemanden gar nicht sehen oder hören, um dessen Stress wahrzunehmen, Sie können Stress auch riechen. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Stress dazu führt, dass Menschen spezielle Stresshormone schwitzen, die vom Geruchssinn anderer aufgenommen werden. Das Gehirn kann sogar erkennen, ob die Pheromone aufgrund von geringem oder hohem Stress ausgeschüttet wurden.

Nun ist es nichts Neues, dass jede Negativität sich auf Ihr Wohlbefinden auswirkt. Nur ist es in unserer stark vernetzten Welt, in der wir ständig von Stress umgeben werden und in hohem Maße negativen Kommentaren in Nachrichten oder sozialen Medien ausgesetzt sind, umso wichtiger einen guten Umgang damit zu finden. Gestresste Menschen sind überall, wohin wir sehen, deswegen müssen wir Wege finden, die unser emotionales Immunsystem stärken. Hier ein paar Ideen, wie das funktionieren kann:

1. Bauen Sie ein natürliches Immunsystem auf

Der beste Puffer gegen den Stress anderer Personen ist ein gutes Selbstwertgefühl. Ein starkes Selbstwertgefühl hilft Ihnen nicht nur dabei zu wissen, dass Sie mit jeder Situation fertig werden, sondern es unterstützt Sie sich in Stressmomenten daran zu erinnern, wie gut die Dinge bei Ihnen persönlich laufen.

Sie können Ihr emotionales Immunsystem aber noch anders stärken. Starten Sie zum Beispiel ein Morgenritual: Schreiben Sie morgens drei Dinge auf, für die Sie dankbar sind. Oder machen Sie 2 Minuten lang bewusst eine Atemübung.

2. Bilden Sie Antikörper

Bauen Sie Verhaltensweisen in Ihren Alltag ein, die die negativen Auswirkungen einer gestressten Person neutralisieren können. Anstatt zum Beispiel die gestressten Gesichtsausdrücke eines Kollegen zu erwidern, lächeln Sie einfach zurück. Anstatt auf Schreianfälle mit Schreianfällen zu antworten, gehen Sie kurz aus dem Raum, sammeln Sie sich und kommen Sie mit Mitgefühl zurück. Beginnen Sie Telefonate nicht mit einem Seufzer, sondern mit einem Lächeln und einem „Ich freue mich, dass Sie sich melden“. Erinnern Sie sich: Sie haben die Macht über Ihre Gefühle und Gedanken.

3. Entwickeln Sie eine positive Einstellung zu Stress

Wenn Sie gegen Stress aktiv vorgehen, können Sie Studien zufolge sogar einen Rückgang der negativen Auswirkungen von Stress um fast ein Viertel erreichen. Aber Stress ist nicht nur negativ: Es kann zu mehr mentaler Stärke, tieferen Beziehungen, gesteigertem Bewusstsein, neuen Perspektiven, einem Gefühl der Gemeinschaft und einer größeren Wertschätzung führen. Wenn Sie aber Stress als Bedrohung betrachten, gehen all diese positiven Wirkungen verloren. Anstatt also zu kämpfen und sich über die negativen Menschen in Ihrer Umgebung zu ärgern, sehen Sie Stress lieber als Gelegenheit, Mitgefühl aufzubauen, und als Herausforderung anderen zu helfen.

Es ist schon spannend: Wir wissen, wie wichtig es ist, sich die Hände zu waschen oder wie schädlich rauchen für uns und unsere Umgebung ist. Nun ist es an der Zeit zu erkennen, dass der Schlüssel zu unserem Wohlbefinden vor allem darin besteht, unser emotionales Immunsystem zu stärken. Natürlich ist es nicht nur der Stress anderer Menschen, der dabei zählt. Es ist vor allem unsere eigene Denkweise, die auch das Glück und Wohlbefinden der Menschen um uns herum beeinflusst. Vergessen Sie nicht, es liegt zu jeder Zeit in Ihrer Macht.