So werden Sie schlauer, beliebter und ein besserer Mensch (ehrlich!)

Ich bin introvertiert. Als ich aufwuchs, liebte ich es, mich in meinen Tagträumen zu verlieren, alleine unter einem Baum sitzend zu lesen oder einfach nur durch die Gegend zu schlendern und zu beobachten. Ich mag all das auch heute noch. Am unwohlsten fühle ich mich, wenn ich in einem Raum voller Menschen stecke. Mich interessiert oberflächliches Geplänkel nicht. Und trotzdem liebe ich es, mit Fremden zu reden.

Das klingt wie ein Widerspruch in sich. Ich habe selbst viel darüber nachgedacht, diesen Widerspruch zu verstehen. Heute ist es mein Beruf mit Fremden zu sprechen und Unternehmen dazu zu ermutigen, eine hausinterne Marktforschung einzuführen. Ich habe sogar gerade ein Buch darüber geschrieben. Was ist passiert? Es begann mit einem Gespräch mit einem Fremden in der U-Bahn.

Eines Tages fuhr ich wie so oft in Wien mit der U-Bahn. Damals saß ich einem Mann gegenüber, der einen wunderschönen Blumenstrauß in der Hand hatte. Ich kommentierte den Blumenstrauß - eigentlich mehr zu mir selbst, aber wir kamen ins Gespräch. Am Ende der U-Bahn-Fahrt hatte ich eine geschenkte Blume und ich habe gelernt, dass Eulen ihren Kopf um 270 Grad in beide Richtungen drehen können. Ich habe nicht mehr die blasseste Ahnung, wie wir von einem Blumenstrauß zu Eulen gekommen sind, aber genau das ist das Interessante an Unterhaltungen mit Fremden. Wir wissen nie, wohin sie führen. Seitdem hatte ich unzählige denkwürdige Interaktionen mit Fremden. Sie führten zu geschenkten Gemüse aus dem hauseigenen Garten, Einladungen von Einheimischen im Urlaub und einer besonderen Freundschaft mit einer bekannten Krimiautorin.

Es gibt viele Untersuchungen, die zeigen, dass Gespräche mit Fremden positiv zu unserem Wohlbefinden beitragen. Für eine Studie wurden beispielsweise Pendler gebeten, mit Fremden im Zug ein Gespräch zu führen. Bereits kurz nach diesem Gespräch war die Stimmung beider Personen nachweislich besser. Aber als man die Pendler zu Beginn fragte, wie es wäre, während der Zugfahrt mit jemandem zu sprechen, sagten die Leute einstimmig, dass sie sich wohler fühlen und besser gelaunt wären, alleine zu sitzen und mit niemanden zu reden. Menschen schätzen nicht nur falsch ein, wie angenehm soziale Interaktionen sein können. Sie vergessen dabei auch, wie viel sie von anderen lernen.

Ich verstehe, warum Menschen nicht miteinander reden – wie gesagt, ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben: Was ist, wenn ich meinen Gesprächspartner nicht mag? Oder schlimmer noch: Was ist, wenn mein Gegenüber mich nicht mag oder ich etwas Dummes sage? Was ist, wenn mir die Fragen ausgehen? Oder was ist, wenn ich das Gespräch beenden möchte, aber nicht weiß, wie? Aber ich weiß, dass jeder mit Fremden sprechen kann, sogar so Introvertierte wie ich.

Erstens werden Ihre Ängste praktisch von allen geteilt, auch von Menschen, die äußerlich selbstbewusst wirken. Eigentlich spannend, wenn man bedenkt, dass die meisten Menschen sich besser als den Durchschnitt betrachten (wir sind bekanntlich alle überdurchschnittlich gute Autofahrer). Das zeigt eine andere Studie: Als Menschen nach ihrer Fähigkeit gefragt wurden, bei einer sozialen Veranstaltung ein Gespräch mit einem Fremden zu führen und das mit drei anderen Fähigkeiten vergleichen mussten, fanden die Forscher zahlreiche Belege für die übliche überdurchschnittliche Wirkung, jedoch nicht, wenn es um Interaktionen mit Fremden ging.

Zweitens und was noch wichtiger ist: Diese Ängste, die wir alle teilen, sind völlig übertrieben. Wir bitten in unseren Beratungen, wenn es darum geht, mit potentiellen Kunden zu sprechen, die Menschen immer vorherzusagen, was passieren könnte, wenn sie mit einem Fremden sprechen. Dann lassen wir sie tatsächlich mit einem Fremden sprechen und sie müssen berichten, wie es gelaufen ist. Durchwegs verlaufen diese Gespräche nicht nur ein wenig, sondern viel besser, als die Leute erwarten, und die Dinge, über die sie sich im Vorfeld Sorgen gemacht haben, passieren so gut wie nie.

Menschen unterschätzen nicht nur, wie sehr sie ihr fremdes Gegenüber mögen werden, sondern auch, wie sehr sie selbst gemocht werden. Viel mehr konzentrieren wir uns auf Dinge, von denen wir glauben, dass wir sie im Gespräch schlecht machen würden („Warum habe ich X statt Y gesagt?”). Egal, ob Sie mit einem Fremden auf der Straße, Ihrem Kollegen in der Firma oder einer zufälligen Person bei einem Event sprechen: Untersuchungen ergeben, dass die Leute Sie mehr mögen werden, als Sie denken.

Und: Sie werden nach jedem Gespräch mit einem Fremden besser. Es ist überraschend schwer zu denken, dass angenehme Gespräche mit Fremden eher die Norm als die Ausnahme sind. Wir glauben lieber, dass jeder Gesprächspartner einzigartig ist und dass der Erfolg eines Gesprächs hauptsächlich auf diesen bestimmten Partner zurückzuführen ist. Wie sehr Sie sich persönlich Sorgen darüber machen, mit Fremden zu sprechen, hängt vor allem von der Umgebung ab, in der Sie aufgewachsen sind. Verschiedene Orte haben unterschiedliche Normen darüber, wann, wo und mit wem es (un)angemessen ist, in Interaktion zu treten.

Wenn Menschen Angst davor haben, mit Fremden zu sprechen, versuchen sie natürlich, dies zu vermeiden. Und das wird immer einfacher. Auf der Suche nach mehr Effizienz in unserer modernen Welt haben wir immer mehr Möglichkeiten geschaffen, soziale Kontakte zu vermeiden. Wir können zum Beispiel eine Selbstbedienungskasse im Supermarkt nutzen und Bankgeschäfte online erledigen. Nicht mit dem Verkäufer im Supermarkt oder dem Bankangestellten reden zu müssen, scheint eine gute Sache zu sein, vor allem für diejenigen von uns, die sich etwas sozial ängstlich fühlen (was, wie sich herausstellt, die meisten von uns sind). Aber wenn Sie zulassen, dass Ihre Ängste oder Ihr Wunsch nach Effizienz die Anzahl Ihrer minimalen sozialen Interaktionen reduzieren, verrosten Ihre sozialen Fähigkeiten.

Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, wie ich den Leuten helfen kann, diesen Glaubenssatz zu erkennen und zu durchbrechen. Ich bin schließlich zu dem Schluss gekommen, dass ich die Leute dazu bringen muss, in kurzer Zeit mit vielen Fremden zu sprechen. Warum versuchen Sie es nicht auch einfach? Es mag sich zunächst etwas unangenehm anfühlen, was völlig normal ist, aber ich versichere Ihnen, dass es besser laufen wird, als Sie es erwarten, und dass es mit der Zeit und mit mehr Übung einfacher wird. Ich glaube fest daran, dass es allen nützt mit Fremden zu sprechen, weil ich glaube, dass dies die Welt zu einem besseren Ort macht.

Mit Fremden zu sprechen macht die Welt besser, weil es den „Anderen“ vermenschlicht. Eine minimale soziale Interaktion mit einem Fremden ist eine Anerkennung Ihrer gemeinsamen Menschlichkeit. Untersuchungen haben ergeben, dass wir uns schon allein durch Blickkontakt stärker verbunden fühlen. Diese Humanisierung ist für unsere Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Im Laufe der Geschichte wurde die Entmenschlichung dazu genutzt, Menschen zu schrecklichen Dingen zu ermutigen.

Wenn es Ihnen also entmutigend vorkommt, mit Fremden zu sprechen, denken Sie daran, dass Sie dadurch jemanden helfen, gesehen zu werden. Wenn Ihnen das Gespräch mit Fremden hingegen nicht entmutigend erscheint, denken Sie darüber nach, ob Sie Ihre Fähigkeit bewusster einsetzen können: Können Sie jemanden willkommen heißen, der neu in Ihrem Unternehmen ist? Oder jemanden beistehen, der sich vielleicht einsam fühlt? Oder jemanden unterstützen, der vielleicht anders ist? Aber tun Sie es nicht aus Mitleid – tun Sie es, weil es menschlich und freundlich ist.

Es ist nun mehr als 20 Jahre her, dass ich in der Wiener U-Bahn mit dem Mann mit dem Blumenstrauß ins Gespräch gekommen bin. Dieses Gespräch hat mein Leben auf eine einzigartige Weise verändert und meine Karriere geprägt. Mir fallen viele weitere Interaktionen mit Fremden ein, die einen großen Einfluss auf mein Leben hatten. Ich bin immer noch introvertiert. Aber ich bin eine Introvertierte, die es liebt, mit Fremden zu sprechen. Ich glaube, dass jeder von uns die Welt ein wenig freundlicher, vertrauensvoller und besser machen kann. Und dass das mit etwas so Einfachem wie einem „Hallo“ starten kann.