Was, wenn dieser eine Tag nicht kommt?

Wenn wir das Pareto-Prinzip auf unsere Kleidung anwenden, dann ziehen wir an ca. 80% der Tage nur 20% unserer Kleidung an. Wir tragen also immer dieselben Sachen, obwohl bei den meisten der Kleiderschrank bereits aus allen Nähten platzt. Trotzdem stehen viele fast jeden Tag vor den Schränken, verzweifelt, weil sie nichts anzuziehen haben.
Meiner Meinung nach liegt das daran, dass wir in einer Welt leben, in der wir problemlos zu jeder Tages- oder Nachtzeit alles im Internet kaufen können, ohne uns auch nur vom Sofa wegbewegen zu müssen. Am nächsten Tag liegt es dann schon wie von Zauberhand vor der Türe. So einfach geht das. Aber das bedeutet nicht automatisch, dass wir auch wissen, wie wir die Einkäufe auch sinnvoll zu nutzen wissen.

Vielleicht haben Sie gar keine Kleidung in Ihrem Schrank, an der noch das Original-Etikett baumelt. Vielleicht haben Sie aber gutes Porzellan im Kasten, das Sie für besondere Anlässe aufbewahren? Oder die besondere Flasche Wein, die Sie für den ganz speziellen Moment eingekühlt haben? Oder die Kerze, die Sie dann anzünden werden, wenn endlich der besondere Abend naht? Oder den Schmuck, den Sie tragen, wenn Sie zu diesem einzigartigen Event eingeladen werden?

All diese Dinge, die wir so festhalten, haben eines gemeinsam: Sie sind etwas ganz Besonderes für uns, das wir solange aufbewahren wollen bis endlich dieser eine besondere Tag gekommen ist. Im Alltag erscheint es uns einfach nicht passend. Wir müssen es uns erst noch verdienen oder uns beweisen, dass wir dieses oder jenes wirklich wert sind.

Dabei spielen wir uns mit diesem Denken nur selbst etwas vor. Wir versuchen uns zu überzeugen, dass in unserem Leben etwas fehlt. Etwas, das uns endlich vervollständigt, das uns perfekt macht. Wir versuchen irgendwie unsere innere Leere zu füllen. Wir überzeugen uns davon, dass es uns besser geht, wenn wir dieses oder jenes in unseren Besitz aufnehmen. All diese Einkäufe, all diese Dinge, sind Versprechen an uns selbst. Versprechen, die mit "Eines Tages, wenn..." beginnen.

Aber was ist, wenn dieser eine Tag nicht kommt?

Ich hatte vor einigen Jahren ein Erlebnis, das mein Denken diesbezüglich vollkommen auf den Kopf gestellt hat. So bin ich mitten in der Nacht mit dem Wissen aufgewacht, dass ich im Sterben lag. Ich wusste, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber mir war vollkommen bewusst, dass es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben oder Tod ging. Es war ein ganz seltsames Gefühl, ich war nicht hysterisch, sondern vollkommen ruhig. Ich habe meinen Mann aufgeweckt, damit er mich ins Spital bringt. Wir waren keine Sekunde zu früh – Diagnose Magendurchbruch.

Nun ist ein Magendurchbruch nichts, das Sie im Voraus planen oder im Kalender zwischen dem Friseur- und den Zahnarztbesuch eintragen. Es ist nichts, auf das Sie irgendwer vorbereiten kann. Deswegen habe ich auch nicht das besondere Porzellan am Vortag benutzt oder mein schönstes Kleid angezogen und mit dem besonderen Wein bei Kerzenschein angestoßen.

In diesem Moment, als ich auf dem OP-Tisch gelegen bin, wurde mir bewusst, dass nichts von dem, was ich im Laufe meines Lebens angehäuft habe, von irgendeiner Relevanz ist. Nichts davon konnte ich auf die Reise, die mir vielleicht bevorstand, mitnehmen. Nichts davon war irgendwie wichtig.

Mir kam vielmehr der Gedanke, dass alle, die auf diesem OP-Tisch liegen, in diesem Augenblick etwas verbindet - unabhängig von ihrem Stand, ihrer Kultur, ihrem Werdegang: Sie alle tragen dasselbe, hässliche Krankenhaushemd, sie alle sind gefühlt den Ärzten ausgeliefert und sie alle hoffen, irgendwie zu überleben. Die Ausreden dafür, warum wir niemals das schöne Porzellan nutzen oder das besondere Kleid anziehen, wurden immer kleiner und leiser bis sie ganz verschwunden sind.

Das Leben ist das, was Sie daraus machen. Niemand außer Ihnen selbst trägt die Verantwortung dafür, dass es Ihnen gut geht und Sie glücklich sind. Sie alleine haben die Macht über Ihr Leben. Warum tun Sie dann nicht auch endlich das, was Sie eigentlich wollen?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich will Sie nicht dazu auffordern, dass Sie all Ihr Geld aus dem Fenster schmeißen, sich jeden Tag sinnlos betrinken und auf Teufel komm raus feiern, einen Kredit für ein überteuertes Auto aufnehmen oder so leben, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich will Ihnen vielmehr vor Augen führen, dass Heute der Tag ist, um all diese Dinge, die Sie bereits besitzen und die Sie für den besonderen Moment aufheben, aus den Kasten holen und nutzen sollten. Das Kleid. Die gute Wäsche. Den speziellen Wein.

Wir finden viel zu oft Ausreden, warum wir etwas nicht tun: zu eng, zu kurz, zu teuer – zu irgendwas. Aber im Grunde sind wir der festen Überzeugung, dass wir einfach nicht gut genug dafür sind. Dass wir vorher noch etwas machen müssen, um es uns erst zu verdienen.

Wenn Sie all diese Ausreden nur für kurze Zeit mal probeweise wegschieben und sich auf das einlassen, was da ist, erleben Sie etwas Wunderbares. Sie erleben Freude, Zuversicht, Spaß und Freiheit. Sie erleben den Moment und leben nicht in der Vergangenheit oder für die Zukunft. Sie merken, dass Sie in Ordnung sind, genauso wie Sie sind und dass der besondere Tag der ist, den Sie alleine dazu bestimmen. Und das sind wunderschöne Gefühle, die wir verdient haben, einfach, weil wir die Personen sind, die wir sind, und weil es keinen zweiten Menschen auf der Welt gibt, der so ist wie Sie oder ich.